Europas Energieversorgung ist aktuell mit zahlreichen Problemen konfrontiert. Eine weltweite Erdgas-Knappheit und die niedrigsten Windgeschwindigkeiten in der Nordsee seit 20 Jahren, so erreichen die Energiepreise trotz mildem Septemberwetter fast täglich neue Rekorde. Die Preise zogen auch an, weil ein steigender Energiebedarf nach den Corona-Einschränkungen auf ein knappes Angebot traf.
Die Gasspeicher in Europa verzeichnen aktuell den niedrigsten Stand seit mehr als 10 Jahren. Russlands Lieferungen sind begrenzt, da es eigene Lagerbestände auffüllt und Gas aus Norwegen ist wegen zahlreicher Reparaturen und Wartungen an Plattformen und Verdichterstationen knapp. Zudem werden große Mengen an Flüssiggas vor allem nach Asien zu Rekordpreisen verkauft. In Brasilien wird auf Grund der niedrigsten Flußpegel seit fast 100 Jahren, weniger Strom aus Wasserkraft erzeugt. Dadurch stiegen Gasimporte und Strompreise auf ein Allzeithoch. Zwischen Asien, Europa, dem Nahen Osten und Südamerika zeichnet sich ein Wettrennen um LNG ab. Katars Energieminister: „Wir haben eine riesige Nachfrage und leider können wir nicht alle bedienen.“ Auch die USA können nur begrenzt mehr exportieren, da weitere Lieferungen den ohnehin hohen Inlandsgaspreis (7-Jahreshoch) weiter steigen lassen würden. Der „Industrial Energy Consumers of America“ hat das Energieministerium aufgefordert, die Exporte zu drosseln, bis sich die heimischen Lagerbestände wieder normalisiert haben. Der Engpass wird sich weiter zuspitzen, sobald die Temperaturen sinken. Daher beginnen einige Länder damit, Kohle und Heizöl zu bunkern, falls nicht ausreichend Gas zur Verfügung steht.
Die europäischen Gaspreise sind im vergangenen Jahr um ca. 500 % gestiegen und notieren in der Nähe neuer Rekordstände.
Selbst ein durchschnittlicher Winter auf der Nordhalbkugel wird die Gaspreise weiter nach oben treiben. Hersteller von Keramik, Glas oder Zement u.a. in China werden mit Preiserhöhungen reagieren. Amos Hochstein, Energieberater des US-Außenministeriums: „Wenn der Winter kalt wird, fürchte ich, dass Teile Europas nicht genug Gas zum Heizen haben werden.“ Für einige Länder „wird es nicht um die Frage von weniger gehen, sondern ob es überhaupt genug Gas zum Heizen geben wird“.
Eine andere Ursache für die Turbulenzen am Gasmarkt ist die langanhaltende Windflaute in Europa.
Dadurch liefert die Windkraft nicht die kalkulierten Strommengen. Als Ersatz dienen u.a. Gaskraftwerke. Durch deren höhere Laufzeiten (46 % mehr als 2020) wird nicht nur das Gas knapp, die höheren Gestehungskosten ziehen auch die Strompreise nach oben. Da schon vorher 23 % des Stroms in der EU mit Gaskraftwerken erzeugt wurde, treiben steigende Gaspreise die Strompreise weiter. Außerdem mußten bereits abgeschaltete Kohlekraftwerke wieder ans Netz, mit ebenfalls höheren Gestehungskosten und hohem Bedarf an CO2-Zertifikaten. Dadurch stieg der CO2-Preis und in Folge der Strompreis.
Wegen hoher Energiepreise stellten bereits erste europäische Industriebetriebe die Produktion ein bzw. drosselten diese: Der britische Düngemittelhersteller CF Industries Holdings und der norwegische Konzern Yara (Dünger, Harnstoff, Nitrate, Ammoniak). Bei der Düngerherstellung fällt CO2 in großen Mengen als Abfallprodukt an und wird zur Lebensmittelproduktion (u.a. Backwaren, Vakuumverpackungen, Betäubung von Schlachtvieh) und in der Getränkeindustrie benötigt. Dies wird die die jetzt schon bestehenden Engpässe in der Lebensmittelversorgung in England weiter verschärfen. Ian Wright, Chef des Lebensmittel- und Getränkeherstellerverbands: „Wir haben noch ca. 10 Tage, bevor Verbraucher, Kunden und Restaurantbesucher merken, daß diese Produkte nicht vorrätig sind“.
In China wird bereits der Strom für einige Industriebetriebe rationiert, wodurch Stahl- und Aluminiumpreise weiter steigen. Erschwerend kommt hinzu, daß auch China mit Kohleknappheit zu kämpfen hat.
Steigende Preise erhöhen laut Goldman Sachs in diesem Winter auch das Risiko von Stromausfällen. Besonders sind Länder mit wenig Verbindungen zum europäischen Stromnetz von Ausfällen bedroht. So warnte Irlands Netzbetreiber im September vor Stromausfällen aufgrund von Windmangel. Der britische Energiemix besteht zwar aus erneuerbaren Energien, Erdgas, Kernenergie und Kohle, aber viele Anlagen sind alt und fallen regelmäßig aus. Wenn größere Ausfälle mit wenig Wind oder Sonne zusammenfallen, könnte auch hier der Strom ausgehen.